»Körperloses Bewusstsein kann nicht sterben«

Von der Rückgewinnung des Urvertrauens ins Leben

Interview in der Tattva Viveka "Trauma und Heilung" Ausgabe Dezember 2023


Tattva Viveka Foto



Als Betroffene hat sich Lea Loeschmann schon früh mit Therapieverfahren der Psyche auseinandergesetzt. Heute ist sie eine erfahrene Therapierte und Therapierende und hilft mit ihrer selbst entwickelten Methode THE MOMENT EXPERIENCE den Menschen, sich von den emotionalen Folgen des Traumas zu befreien.

Tattva Viveka: Lea, du bist Psychotherapeutin, Heilpraktikerin und seit sehr langer Zeit auf dem spirituellen Weg. Wir haben uns hier in Berlin im Park kennengelernt und vertieften uns gleich in sehr spirituelle und philosophische Gespräche.

Das Thema Trauma ist eines deiner Hauptthemen. 

Du bietest Traumatherapie an und hast einen eigenen Ansatz entwickelt, der eine Kombination aus Psychotherapie und Spiritualität ist. Es geht darum, wie Verletzungen, die in der Kindheit entstanden sind, Verhaltensweisen entwickeln, die uns ins Erwachsenenleben begleiten und die wir nicht so einfach loswerden können.

Ich würde dich erst einmal bitten, uns deinen Werdegang zu schildern. Was hast du für spirituelle Erfahrungen gemacht? Und was hast du für Ausbildungen in deiner therapeutischen Arbeit?

Lea Loeschmann: Ich stamme aus einer Großfamilie, die immer weiter gewachsen ist.

 Ich bin die Zweitälteste. Das war eine der sehr frühen Patchwork-Familien mit vielen Scheidungen, viel Drama, viel Chaos. Ich hatte kein wirkliches Gefühl für mich. Ich fing früh an, mich depressiv oder abgetrennt zu fühlen.

Gestalttherapie

Deshalb ich schon im Alter von 21 Jahren angefangen Therapie zu machen. Dabei hatte ich großes Glück, weil ich an Gestalttherapeuten geraten bin. 

Die Gestalttherapie hat einen anderen Ansatz als Verhaltenstherapie. Sie arbeitet vor allen Dingen mit dem Moment. Wir gehen davon aus, dass es nicht darum geht, eine Vergangenheit zu verändern, was ja eh nicht geht, weil sie ja vorbei ist, und dass es auch nicht darum geht, uns auf unsere Zukunft zu fokussieren, indem wir sagen, ich brauche doch nur meine Gedanken auf eine bessere Zukunft richten, sondern, dass wir uns bewusst im Hier-und-Jetzt befinden, um in diesem Moment an unsere Blockaden herankommen. Wenn wir im Jetzt da herankommen können, können wir sie auch auflösen.

Traumarbeit

Ich machte damals auch sehr viel Traumarbeit, das half mir sehr, weil die Träume, anders als unser Verstand, oftmals die Botschaften und Aussagen liefern, die wirklich schwer auf unserer Seele lasten. Ich hatte viele Alpträume, damit fing ich an. Und über diesen Weg ging ich dann weiter und machte die Ausbildung zur Gestalttherapeutin. Das Gestaltinstitut, das TIB hier in Berlin, war immer schon an das Hamburger und das Berliner buddhistische Zentrum angeschlossen. Damit fing dann auch mein buddhistischer Weg an.

Eine Qualität eines Therapeuten ist, dass er bei sich bleibt und sich nicht in dem anderen verliert. Das lernt man in der Meditation und dadurch bin ich in diesen spirituellen Prozess eingestiegen.

Dzogchen — die Essenz des tibetischen Buddhismus

Ich bin dann von der Gelug-Tradition abgewichen und auf das Dzogchen gestoßen, was der mystische Kern des Buddhismus ist und dafür gab es auch gute europäische Lehrer. Im Wesentlichen hatte ich James Low als Lehrer und bekam sehr tiefe Einblicke in die Meditation. 

Ich erlebte tatsächlich auch erst sekundenweise und später auch über längere Zeiten das Gefühls des Erwachens. Das bewirkte eine große Veränderung in mir, weil ich dann tatsächlich in diesem Moment erst einmal frei von Angst und Zweifeln war, ich fühlte mich völlig angekommen in meinem Hier-und-Jetzt. Ich stellte mich nicht mehr die ganze Zeit in Frage, führte keine negativen Selbstgespräche mehr und erlebte eine Entspannung, die ich vorher überhaupt nicht kannte.

Natürlich, wenn ich dann aus den Retreats zurückkam und der Alltag wieder zuschlug, merkte ich, dass die alten Blockaden eigentlich alle immer noch da waren und dass sie immer noch leicht anzutriggern waren. 

Aber ich nahm deshalb eine andere Perspektive ein, nämlich zu merken, dass ich zutiefst geborgen bin und es gar nichts gibt, was ich fürchten muss. 

Trotzdem wollte ich gerne verstehen, was da dauernd angetriggert wird. Warum ist mein Leben so anstrengend und wie kann ich es schaffen meine Angst auch im Alltag ein bisschen zu reduzieren?

Verdrängung von Gefühlen ist das Wesen der Angst

So kam ich darauf, dass ich die Gefühle, die ich als Kind, als Kleinkind und bei meiner Geburt nicht ertragen konnte und die nicht aufgelöst werden konnten, verdrängen musste. 

Im Grunde ist das das Wesen der Angst. Die Angst wird immer mehr, je mehr Gefühle wir verdrängen, nicht ertragen und nicht zulassen können. 

Oft wissen wir das gar nicht und dann kommt im Laufe des Lebens einfach eine riesige Erschöpfung. Ich habe mit der Gestalttherapie, mit diesem Vertrauen, dass wir die Heilung in der Gegenwart erreichen können, eine Methode entwickelt, die tief bis zur Geburt geht und die ersten Angsteffekte, also dieses erste Trauma auflöst. 

Danach bearbeitet man die weiteren Traumata, die sich eigentlich aus diesem ersten Trauma ergeben, weil man in bestimmten Situationen einfach das alte Muster angewandte und sich wieder genauso erschreckte. Das ist im Wesentlichen der Ansatz, der sehr gut und nachhaltig funktioniert.

Wie sieht die Psychologie die Entwicklung des Menschen?

TV: Wir sind ja zunächst Kinder. Wir kommen gesund auf die Welt und dann passieren Dinge in unserem Leben, wie Gewalt, die uns beeinflussen. Du sprichst da von einer Angstmatrix, wie diese uns im Bann hält und wie wir von uns getrennt werden.

Lea: Wir gehen davon aus, dass wir allumfassendes Bewusstsein sind, dass wir ein Teil von diesem Feld von körperlosem Bewusstsein sind, das alles durchdringt. Körperloses Bewusstsein kann nicht sterben, es ist nicht verletzbar in diesem Sinne. Und dieser Wesenskern von uns bleibt auch unverletzbar.

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Das Abenteuer in ein Mensch zu werden

Wenn wir aber auf die Welt kommen, gehen wir in ein anderes Experiment. 

Wir kommen aus dem Tao, wie es oft genannt wird, hinein in dieses Feld von Yin und Yang: wir haben Gut und Böse, Tag und Nacht, stark und schwach. Wir sind in einer Dualität auf dieser Welt und das können wir nicht ändern. 

Wir kommen also erst einmal in dem Mutterleib an. Dann entwickeln sich unser Körper, unsere Sinne und das Nervensystem, darüber hinaus auch unsere Hormone wie z.B. Adrenalin und Cortisol. All dies fängt an zu schwingen und auf unseren Körper einzuwirken. Ich meine, dass es ein ganz intensives Erlebnis ist, in dieser Welt überhaupt anzukommen. 

Hätten wir eine ideale Gesellschaft, bräuchte nur eine Schwangerschaft und eine Geburt schiefgehen, und wir hätten schon wieder das Gefühl der Getrenntheit in der Welt. Allen Watts sagt, wir verstecken unsere wahre Natur hinter dem Auf-und-Ab des Lebens, weil wir mit unserem Körper Erfahrungen machen, die ohne den Körper gar nicht möglich wären.

Die Ängste werden früh geprägt

Unsere Angst entsteht oft schon im Mutterleib, bei der Geburt oder in den ersten Lebensjahren, weil wir als Frühchen geboren werden, das müssen wir uns einfach klarmachen. 

Menschenkinder müssen so lange versorgt werden wie kein anderes Wesen auf diesem Planeten. Wir sind so unglaublich abhängig von dem, wie unsere Eltern uns sehen, wie unser Umfeld uns sieht, wie wir versorgt werden, wie wir gespiegelt werden, dass es ganz leicht ist, die Ängste zu triggern. 

Freud sagte, dass sich der erste Angsteffekt in jeder Angst wiederholt, die wir danach erleben.

Da ist es für mich ganz entscheidend gewesen, ganz am Anfang zu beginnen.

Wie werde ich geliebt? Wie werde ich gemocht? Bin ich ein Wunschkind? Wollen sie einen Jungen oder ein Mädchen? 

Liegt auf mir schon eine Erwartung, obwohl ich noch gar nicht geboren bin? Und dann natürlich der Geburtsvorgang selbst, der ziemlich messy ist. Der Geburtsvorgang und das ganze Erleben im Mutterleib spiegeln den Zyklus des Lebens wider und damit auch unsere Persönlichkeitsstruktur.

Die Angst beschützt auch unseren inneren Wesenskern

Diese Angst will auf der einen Seite unser körperliches Überleben sichern. 

Auf der anderen Seite fühlt sie sichfür unseren entstehenden Körper so an, als ob wi wirklich verletzliche, zerstörbare Wesen wären, einschließlich unseres innersten Kerns. 

Deswegen wird nicht nur der Körper beschützt, sondern im Wesentlichen auch unser Wesenskern. Die Angst beschützt diesen Wesenskern und dann entsteht unsere Persona, unser Ego in Reaktion auf diese Angst. Wir bilden eine Struktur aus, mit der wir in dieser Umwelt überleben können. Das machen wir mehr oder weniger alle. 

Diese Konditionierung ist im Grunde genommen nicht so schlimm. Je heftiger unsere Angst ist, um so weniger Zugang haben wir zu unserer natürlichen Präsenz. Das macht es dann für uns schlimm. Je mehr Blockaden wir haben, umso anstrengender wird unser Leben.

Wie wirkt sich diese frühe Prägung auf unser Leben aus?

TV: Das sind ja zwei Aspekte: einmal sprechen wir von einer Angst, die eigentlich alle betrifft, weil jeder von uns geboren wird. Da können wir nichts dran ändern, das ist schon einmal eine Prädisposition, so ein erster Verletzungsmoment. 

Wenn in der persönlichen Biografie dann jedoch noch extremere Sachen passieren, dann schlägt dieser erst richtig zu Buche und es treten diese psychologischen Dysfunktionalitäten oder Probleme auf. Wie entwickelt sich das?

Lea: Wir haben Yin und Yang. Auch in unserem Körper. Das ist der Sympathikus und der Parasympathikus. Der Sympathikus ist unser Yang, dieses lebendige, spritzige, das ist die Aktivierung. Wenn das Adrenalin hochschießt, unser Sympathikus wach ist, sind wir aktiviert. Das ist erstmal etwas Gutes. 

Jedes Mal, wenn wir ein neues Abenteuer eingehen, dann haben wir dieses Adrenalin. Das kann unheimlich belebend sein. 

Aber auf jemanden, der einen zu hohen Adrenalinpegel hat und bei dem das Cortisol, das Angsthormon, schon aktiv ist, das dann dauerhaft den Sympathikus anspannt, kann das eine negative Wirkung haben

In diesem Zustand sind wir nicht in der Lage wirklich Abenteuer zu erleben, weil wir dauernd damit beschäftigt sind, unsere Angst und die Gefühle, die dahinterstecken, in Schach zu halten. 

Ansonsten ist es ein Wechsel von Sympathikus und Parasympathikus, auf den wir vertrauen können. In dem Moment, in dem wir die Angstmatrix und unsere Gefühle, die wir keinesfalls spüren wollen und die wir mit aller Gewalt verdrängen, entlasten, haben wir ein ganz natürliches Maß an Adrenalin und an den anderen Hormonen, die zum Parasympathikus gehören, wie Serotonin und Dopamin, die dann die Entspannung aktivieren.

Die Folgen von einem Dauerzustand in Angst

TV: Wenn jemand in irgendeiner Form ein Trauma erlebt hat – er wurde zum Beispiel als Kind verlassen, missbraucht, geschlagen oder emotional nicht gefühlt – entsteht dieser hohe Adrenalinpegel, zum einen aufgrund der Angst, aber auch aufgrund dieser Alarmstellung, die wir einnehmen, da wir fürchten, es passiert vielleicht wieder etwas ähnliches. Dann haben wir ständig diesen hohen Pegel. 

Und das führt dann unter anderem auch zu Erschöpfung.

Lea: Ja, genau. Das Adrenalin wird durch Cortisol, das Angsthormon, abgelöst. Wir verlieren unser Vertrauen in den ganz natürlichen Fluss von Yin und Yang und befinden uns in einer Daueranspannung, in einem Dauer-Hab-Acht, 

und dann ziehen wir auch ganz oft Erlebnisse an, die letztendlich das System wieder ein Stück mehr belasten. Deswegen kommen wir dann auch nicht in den Flow. Deswegen gibt es so viele Erschöpfung, so viel Burnout, so viel Depression und so viel unfassbare Anstrengung, weil eigentlich das System überlastet ist.

Die Sucht nach der vertrauten Anspannung

TV: Man kreiert auch wieder neue, ähnliche Situationen, weil man das schon so kennt und man denkt, man müsse es so machen, so dass man wieder dieses Adrenalin- und Cortisollevel hat, dieses Erregungs- oder Excitment-Level.

Lea: Genau, das ist die andere Seite der Medaille. 

Wir haben beinahe eine Art Sucht, den Adrenalinpegel immer auf einem ähnlichen Niveau zu halten, weil dann unsere Angstmatrix funktioniert. 

Das Problem ist aber, dass wir alt werden. Je älter wir werden, desto weniger können wir diese Anspannung in der Muskulatur halten.

Es ist dann viel Anspannung in der Muskulatur, im Blutdruck, im gesamten System, die sich auch psychosomatisch äußert. Das liegt an Gefühlen, denen wir nicht vertrauen, weil wir als Kind gefühlt haben, wir könnten daran sterben.

Was für eine Rolle spielen die Gedanken?

TV: Du betonst ja sehr stark das Gefühl oder die Gefühle. Was spielt das Denken für eine Rolle? Benutzen wir das Denken auch um uns gegen diese Gefühle zu panzern?

Lea: Absolut. 

Ich hörte gestern erst ein ganz schönes Beispiel von einer Frau, die mit HSP (hochsensiblen Personen) arbeitet. Sie sagt, unser Denken ist eher wie eine Erbse im Vergleich zu einem Fußballfeld. Unser ganzer Körper, unsere ganze Somatik, unser ganzes Fühlen und Erleben, da gehört für viel mehr dazu. 

Wir sagen oft Gefühl, aber es sind auch die Emotionen, die Sinne, alles was uns vermittelt wird. Wir sind ein gesamtes System, was auf dieser Erde lebt. 

Unser Verstand ist eigentlich ein kleines Feld. Unsere Gesellschaft ist leider auf diese Logik, auf diesen Verstand aufgebaut und neigt dazu, ihn zu überfokussieren

Sowohl die Buddhisten wie auch andere Traditionen sagen, dass das zuviel Denken eine Krankheit ist. Das Denken wird wirklich überschätzt. 

Und wenn wir jetzt sagen, wir könnten mit unseren Gedanken eine positive Zukunft gestalten, dann geht das gar nicht ohne das Gefühl. Wenn ich nichts spüren kann, kann ich auch nichts gestalten.

TV: Genau. Das Gefühl ist ja eigentlich primär. Wir müssen an dem Gefühl arbeiten. Wir können doch nicht über die Gedanken die Gefühle verändern. Das geht auch, aber das sind nicht die Gefühle, die wir eigentlich ändern müssten: die echten Gefühle von damals.

Urmisstrauen oder Urvertrauen

Lea: Richtig. Im Grunde kann man sagen, dass es entweder ein Urmisstrauen gibt, das bei einer frühen Traumatisierung entstanden ist, oder es gibt das Vertrauen. 

Und natürlich bezieht sich das in unserer realen Welt auf unsere Eltern, aber im Grunde bezieht es sich auf das Universum: Vertrauen dürfen, dass ich versorgt werde und dass ich ein geliebter Anteil bin, dass ich unverzichtbar bin, dass ich wirklich innig spüre, dass ich geliebt werde. Das kann man mit Gedanken nicht produzieren. 

Bevor sich unser voll Gehirn entwickelt hat, sind wir laut dem Buddhismus sieben Jahre alt. Es gibt da unterschiedliche Ansätze. Aber bis dahin verursachen wir gar kein Karma. 

Unsere frühe Kindheit ist nicht mit Gedanken strukturiert, auch nicht mit Zeit. Wir leben in diesem Alpha-Wellen-Raum. In dieses Feld kommen wir auch, wenn wir meditieren, wenn wir zur Ruhe kommen. Im Grunde kommen wir schon in der Entspannung in diesen unterbewussten Bereich.

Reicht dann nicht eine rein spirituelle Praxis?

TV: Dazu habe ich jetzt zwei Fragen: 

Erstens, werden diese frühen Verletzungen und Traumata emotional eingebaut, bevor der kognitive Apparat überhaupt anspringt? Das muss ja dann auch tiefenemotional therapeutisch bearbeitet werden? 

Zweitens, du sagst, wir kommen in diesen Alpha-Raum und das ist auch der spirituelle Raum. Kann der spirituelle Raum diese verletzten Gefühle wie zum Beispiel Misstrauen ins Leben oder Einsamkeit heilen? Oder müssen wir in den emotionalen Raum gehen, um da diese Gefühle nochmal anzuschauen und aufzulösen?

Lea: Ich beantworte mal die zweite Frage zuerst. Das ist wirklich eine super spannende Frage. 

Fakt ist, dass als ich die Erfahrung von Erwachen machte, waren meine Traumata wirklich weg. 

Eine buddhistische Erklärung besagt, dass unser Geist ist wie ein Glas Wasser mit Schlamm ist. Wir sind aufgewühlt, wir haben das Gefühl, alles ist so ein bisschen schmutzig und wischiwaschi, es gibt viele Unsicherheiten und viele Gefühle und Gedanken. Das ist einfach ein aufgerührtes Glas. 

Wenn wir jetzt sitzen und meditieren, dann setzt sich dieser Schlamm unten ab, okay. Aber er ist noch da, kann also wieder aufgewühlt werden. Im Buddhismus gibt dafür es viele Praktiken, die man dann machen kann, um das immer mehr zu reinigen. 

Das ist meiner Meinung nach aber ein sehr langer Weg. Und er ist oft auch sehr anstrengend, weil wir uns leicht verlieren können. In der Spiritualität mischen sich das Ego oder die Überlebensmechanismen ein.

Insofern denke ich, ja, es ist möglich, wir können einen reinen spirituellen Weg gehen. 

Aber meine Erfahrung ist, dass diese Widerstände und Blockaden sehr stark sind, vor allem in unserer Gesellschaft. 

Man kann zum Beispiel davon ausgehen, dass in Tibet alle Kinder geliebt wurden. Die Buddhisten reden kaum von Selbsthass oder Selbstzweifel. Die reden von Stolz. Jedes Kind war wertvoll. 

Wir dürfen nicht vergessen, dass die psychischen Dispositionen auch durch das Umfeld entstehen. Wenn ich in einem Land bin, wo es immer kalt ist und wo ich monatelang nichts anderes tun kann, als mich nach innen zu besinnen, da ist es vielleicht auch einfacher als in unserer schnelllebigen Welt, wo wir ja reagieren wollen.

Geht es wirklich darum, uns aus der Alltagsrealität rauszuziehen, wenn wir sowieso schon spirituelle Wesen sind? Wenn wir nach Hause kommen, sind wir wieder eins mit dem Bewusstseinsfeld. Wir sind sowieso immer angekommen. Die Angstmatrix ist in der allumfassenden Matrix. Das Yin und Yang sind in der allumfassenden Matrix. Es gibt nichts, was sie nicht beinhaltet. 

Es stellt sich also die Frage: Sollten wir das Leben nicht so, wie es ist, genießen? Diese ganzen Sinne, diese ganzen Abenteuer, die man nur machen kann, wenn man einen Körper hat.

Die Methode, die ich entwickelt habe – THE MOMENT EXPERIENCE – hilft, dass wir in den Moment kommen können und zwar nicht nach jahrelanger Therapie, sondern wirklich bereits nach ein paar Stunden. So können wir unsere Blockaden auflösen.

Wie funktioniert THE MOMENT EXPERIENCE?


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TV: Und wie lösen wir die Blockaden auf? Kannst du deine Methode etwas genauer vorstellen?

Lea: Ich gehe davon aus, dass alles im Jetzt da ist, dann brauche ich nicht besonders lange in der Vergangenheit zu rühren, sondern ich versetze meine Patienten in einen Alpha-Wellen-Zustand. 

Das geht relativ schnell, wir brauchen nur die Augen zuzumachen und uns erinnern. Ich führe sie durch einen Prozess, der keine Hypnose ist, sondern eine Wachhypnose, was für mich ziemlich wichtig ist. 

Der kritische Verstand oder der Verstand muss in den Prozess mit integriert werden. Wenn wir den Verstand nur umgehen und ausschließlich im Unterbewusstsein arbeiten, dann haben wir nicht das Gefühl, dass wir daran beteiligt waren. 

Wenn das unterbewusste System und die Gedanken, die sich entwickelt haben, wie unser Ego zu sein hat, nicht zusammenkommen, dann kommen die alten Blockaden auch wieder hoch und diese Veränderung ist oft nicht nachhaltig. Es kann funktionieren, kann aber auch nicht funktionieren.

Ich gehe in meiner Arbeit bis zur Zeugung zurück

Wie ist es dir ergangen, was ist passiert, wie hast du es erlebt? Weil diese Zeit des Entwickelns dieses Körpers, dieses wahnsinnig tollen Organismus – der ist wie ein Weltraumanzug, den wir haben, ein Erdweltraumanzug –, ist so intensiv und sie bildet die Matrix für unsere anderen Zyklen. 

Wir lösen das dadurch auf, dass wir wirklich das Gefühl bekommen, ich kann buchstäblich in meinen Körper hineingreifen, ich kann das rausholen, was mich in einer bestimmten Situation immer belastet hat, und das Übermaß an Gefühl, das was wir nicht verarbeiten konnten, wird abgebaut. 

In dem Moment, in dem das Übermaß abgebaut ist, bekommen wir ein Gefühl dafür, dass wir damit umgehen können.

Mit allen Gefühlen umgehen können

Wenn ich eine Wut habe, die sehr hoch ist, dann will ich nicht, dass sie angetriggert wird, weil das stresst, das macht mir mehr Druck und es explodiert leicht. 

Wenn ich aber die alte Wut auf ein normales Maß entlastet habe, dann kann ich damit umgehen. 

Plötzlich ärgert mich jemand und ich kann sagen ›nö, hier ist meine Grenze und Schluss‹. 

Wenn die Wut aber sehr hoch ist, weiß ich nicht, ob ich explodiere, ob ich mich zurückziehen muss und was ich damit mache. 

Wenn die Gefühle, die früher nicht begleitet oder nicht verstanden wurden, entladen werden, dann entlädt sich die Geschichte, und erst dann können wir auch wirklich die Vergangenheit abschließen. Dann merken wir plötzlich, ach, der Streit mit meinem Vater war doch schon Jahre her. 

Aber bis dahin wiederholt er sich im Hier und Jetzt andauernd, weil das Gefühl noch darin steckt.

Die alten Erfahrungen wiederholen sich und werden leicht getriggert

TV: Wir konnten diese Situationen als kleines Kind nicht bewältigen. Wir konnten auch aus der Situation nicht heraus, weil wir komplett abhängig von den Eltern waren. 

Daraufhin haben wir diese Erlebnisse tiefer gespeichert, abgepanzert in diese Angstmatrix. Trotzdem schwingt so eine Situation aber immer weiter mit, ohne dass wir es merken, weil wir schon so dran gewöhnt sind.

 Wenn in der Gegenwart dann ein Trigger auftaucht, jemand wütend auf mich ist oder mich beschimpft, werden diese alten Gefühle, die mit der Situation verbunden sind, ausgelöst. Wir können damit aber nicht umgehen, weil das Niveau des Angstlevels immer noch so hoch ist.

Lea: Ganz genau. 

Das heißt, in dem Moment, in dem diese alten unerträglichen Gefühle entladen sind, und das Vertrauen wieder da ist, kann ich wütend sein, aber ich weiß auch ganz genau, dass ich dem anderen nicht gleich an die Kehle gehe. Das Vertrauen ist wieder da und die Angstmatrix ist entlastet. 

Das heißt, das Trauma wird nicht mehr so schnell angetriggert. 

Das heißt aber nicht, dass wir keine Angst haben, denn wo wären wir ohne das Adrenalin? Dann würden wir gar keine Schritte machen. Angst und Erregung gehören zusammen. Das Adrenalin steigt sehr schnell und mit der Unterdrückung von Gefühlen und mit dem Erschaffen von einem Ego oder einer Persona überleben wir.

Aber in den lebendigen, kreativen Flow kommen wir, wenn wir Vertrauen haben.

Wirkliche Entspannung

TV: Dann kann auch wieder richtige Entspannung eintreten und zwanghafte Verhaltensweisen können sich auflösen?

Lea: Nachdem ich diese Methoden zusammengestellt hatte, stellte ich fest, was mich mein Leben lang gequält hat, diese negativen Selbstgedanken waren. Als hätte ich eine dauernde Stimme, die mich verurteilt, die mich zweifeln lässt, die permanent quatscht wie dumm ich bin und dass ich dies nicht kann und jenes nicht kann. 

Das Besondere ist, dass sich das auflöst. Das ist eine regelrechte Entspannung, dass nicht andauernd immer wieder Zweifel hochkommen mit all der Angst und der Enge.

TV: Wie lange hat diese Veränderung bei dir gedauert?

Lea: Nachdem ich die richtigen Methoden hatte, ging es wirklich plötzlich ganz schnell. Es waren tatsächlich wenige Stunden. Bei mir waren es zehn, elf Themen, die ganz dringend bearbeitet werden mussten.

TV: Das war die Bearbeitungszeit. Und hatte sich deine Situation dann schon geändert?

Lea: Ja, und auch ganz andere Sachen haben sich zusätzlich aufgelöst. 

Ich bin irgendwann mit der S-Bahn gefahren und hab gemerkt, dass die Angst, die immer da war, wenn ich S-Bahn fahre, weg war. Aber ich wusste gar nicht, dass ich sie habe. Das war immer so eine leichte Unruhe. Wenn was passiert, habe ich alles dabei? Und plötzlich war sie nicht mehr da.

Die Methode funktioniert gut und schnell.

Neues Vertrauen entwickeln

Und trotzdem üben wir danach noch weiter. Wir haben Trauma erlebt, wir sind gewohnt gewesen leicht angetriggert zu sein. 

Wir brauchen Übung, so dass wir merken, wenn sich das Adrenalin beim Starten eines neuen Abenteuers erhöht, dass wir nicht in die Angst kippen und uns wieder in unser altes Muster zurückziehen, sondern dass wir wirklich merken, was für eine tolle Geschichte es ist. Dann können wir uns darauf freuen. Dafür müssen wir ein neues Vertrauen entwickeln.

TV: Aber das kommt jetzt nicht über Affirmationen oder positives Denken, sondern es kommt aus der Tiefenemotion, dass diese Übererregung weg ist und wir spontan diese Sachen fühlen können?

Lea: Richtig. Wir haben ein viel genaueres Gefühl entwickelt.

Wir spüren es schneller, wenn wir noch einmal in diese alte Angst gerutscht sind. Statt dem Stress, nehmen wir dann eine bewusste Aufregung wahr. Wir spüren das schneller und damit können wir dann meistens schneller richtig reagieren. 

Richtig in dem Sinne, dass das tatsächlich unserer Wahrheit, unseren Wünschen und unseren Bedürfnissen mehr entspricht, aber auch, dass wir mehr Mitgefühl für die anderen haben.

Kampf oder Flucht Reaktion

Die Angst-Matrix — das Verteidigungs und Schutzsystem

TV: Normalerweise springt in der Angstmatrix und in dem Verteidigungsmodus immer dann der Kopf, das Prinzip, das Muster, das Konzept, was ich jetzt benutze, rein, um mich zu verteidigen, um sicher zu sein. Das hat nichts mit dem authentischen Gefühl zu tun. 

Das ist ein Verteidigungsmechanismus. Dann fange ich an zu lächeln, wenn ich so jemand bin. Oder ich fange an zu kämpfen, wenn ich so jemand bin. Fawn, flight, freeze and fight – diese vier Reaktionsmuster gibt es. Vielleicht magst du die vier kurz erklären.

Lea: Der Fight-Modus beschreibt die Situation mit dem Säbelzahntiger, den wir bekämpfen müssen. Wir werden angegriffen und wir verteidigen uns mit Fäusten und allem was wir haben. 

Menschen, die oft im Fight-Modus sind, sind auch eher Kämpfer und haben eine narzisstische Tendenz. Sie schreien eher, werden laut und ausfällig. Manchmal ist man erschrocken, wie sie reagieren. 

Wir können alle vier Mechanismen nutzen. Auch jemand, der normalerweise total sanft ist, kann, wenn er genug provoziert wird, ausrasten.

Dann gibt es den Flight-Modus. Das sind Menschen, die eher die Tendenz haben wegzurennen, sich zu entziehen, aus der Situation rausgehen, nicht zuhören wollen, die Suchttendenzen haben, Arbeitssucht zum Beispiel. Egal, weg, ablenken, etwas anderes machen, das ist der Flight-Modus. 

Wir Menschen sind eigentlich Fluchttiere, insofern haben wir alle damit zu kämpfen. Wir sind letztlich von unseren Urinstinkten so gebaut.

Der Freeze-Modus ist anders. Manchmal denke ich, der kann auch sehr früh anfangen, weil wir einfach einfrieren, wir stellen uns tot. Das ist auch eine gute Methode, wenn wir angegriffen werden. Ich tue so, als wäre ich gar nicht da, ich sage nichts und verhalte mich unauffällig. Es gibt sogar Tiere, die so tun als wären sie tot. Das ist wirklich erstaunlich. Wir kriegen manchmal kein Wort raus. Diese Menschen wirken eher kühl, zurückhaltend.

Der Fawn-Modus ist am wenigsten bekannt. Das ist das Unterwerfen. Dieser Modus wurde auch mit dem Stockholm-Syndrom in Verbindung gebracht. Wenn ich dem Aggressor nicht ausweichen kann, dann werde ich alles tun, um ihn irgendwie zu befriedigen und glücklich zu machen, weil ich nur so mein Überleben sichere. Ich kann weder kämpfen noch wegrennen. Der Aggressor ist viel stärker und brutaler als ich, also passe ich mich an. 

Dieser Modus ist die co-abhängige Struktur schlechthin, der perfekte People Pleaser, der, der es immer allen rechtmachen will.

Viele auf dem spirituellen Weg befinden sich in diesem Modus. Das ist auch das, was man Empath nennt. Wir versuchen uns reinzufühlen. Was braucht der andere von mir? Was kann ich ihm geben? Oh Gott, denjenigen bloß nicht provozieren!

TV: Es jedem recht machen, sich um alle kümmern, aber eigentlich fehlt die eigene Identität. Die besteht nur daraus, dass man von dem anderen gebraucht wird. Wenn sie uns brauchen, können wir sie dadurch kontrollieren.

Lea: Genau. Deswegen sage ich, das ist eine Persona oder eine Maske, die wir haben. Man kann es auch Ego nennen. Aber zu wissen, dass das Schutzmechanismen sind, finde ich ganz wichtig.

TV: Und als Überlebens- und Schutzmechanismen sind sie eigentlich menschlich.

Lea: Absolut. Sie beschützen unser Überleben, aber meistens haben wir keine Säbelzahntiger im Raum. Das ist ein Mechanismus aus der Vergangenheit. Die meisten Abenteuer, die wir machen, sind eigentlich ziemlich cool, wenn wir uns darauf einschwingen können.

Angst als Ursache für Sucht

Und wie gesagt, manche sind süchtig danach, die gehen auf den Everest oder machen gefährliche Sachen. Die wollen dieses Adrenalin. Die leben, die genießen das. Manche brauchen den Kick und manche nicht so.

TV: Das kann also zu einer Sucht werden. Da muss man aufpassen.

Lea: Adrenalin hochzuhalten kann wirklich wie eine Sucht sein.

TV: Ich habe mich viel mit Suchttheorie und Suchtpraxis beschäftigt. Ich bin selber ein Süchtiger. Diese Adrenalinsucht gehört zu den Kernstrukturen dabei. Das kann sich in verschiedenen Formen, Handlungen oder Substanzen ausdrücken, hat immer dieses Muster dahinter.

Lea: Ich sehe auch das ein bisschen differenzierter. 

Die eine Seite ist natürlich, dass wir Fluchtwesen sind, wir sind eher wie Gazellen als wie Löwen. Wir mussten damals viel weglaufen vor irgendwelchen wilden Tieren. 

Auf der anderen Seite gibt es die Verwendung von Substanzen schon im Tierreich. Es gibt die Möglichkeit das Bewusstsein zu verändern und andere Bewusstseinserfahrungen zu machen, wenn man bestimmte Drogen nimmt. 

Ich erinnere mich immer total gerne an einen Film, wo afrikanische Tiere sich um einen bestimmten Baum herum versammelten, wenn die Früchte runterfielen und anfingen zu gären. In dem Film gibt es dann betrunkene Giraffen, betrunkene Affen, betrunkene Elefanten… Das ist ganz faszinierend. 

Wir sehnen uns nach dieser Erfahrung der Verbundenheit und manche psychoaktiven Drogen verbinden uns. Es kommt immer darauf an wie. Es ist natürlich besser sie in einem Ritual zu nutzen als in einer Disco. Wir wollen Erfahrungen machen. Wir sind wild darauf. 

Aber die herrlichste Erfahrung ist, dass wir ohne Drogen, einfach von uns aus in unser wahres Selbst eintauchen können und uns wirklich in diese Glückseligkeit, in diesen Flow, in dieses Gefühl entspannen können.

Erwachen heißt annehmen, dass es ist so wie es ist

In Geda 2

TV: Die 12-Schritte-Programme sagen auch »Happiness is an inside job«

Der spirituelle Kern ist unser wahres Wesen – oder wie es in der indischen Spiritualität heißt das Sat-Chit-Ananda: als Seele sind wir ewig, allglückselig und voller Wissen. Das sind wir wirklich. 

Zusätzlich gibt es aber noch diese ganzen Schutzmechanismen und unsere irdische Existenz. Das ist das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen. 

Deswegen ist es gut, diese pathologischen Phänomene anzugehen, damit wir dann in diesen normalen dualen Zustand zurückkommen, der aus Erregung, Entspannung, Abenteuer, Ausruhen, Sicherheit und Freiheit besteht.

Lea: Richtig. Das Besondere ist, dass das Erleuchten oder das Erwachen eine entspannte Wachheit ist. 

Das ist für uns ein totaler Gegensatz, weil wir gar nicht wissen, wie das gehen soll. Wenn wir uns entspannen, fallen wir oft in einen tiefen Schlaf, weil wir schon so erschöpft sind. Wenn wir überhaupt einschlafen können. Das sieht man in Meditationen, wenn die Menschen einschlafen. 

Fakt ist, wir kommen da viel leichter hin, wenn wir Methoden haben, diese Angstmatrix und diese gestauten Gefühle zu entladen. Dann kommen wir viel leichter an unseren inneren Kern. Und um so weniger rennen wir weg oder brauchen irgendwelche Stimulanzien. 

Je mehr Vertrauen wir entwickeln, dass es völlig in Ordnung ist, dass wir Menschen sind auf der Erde, dass wir einmal Angst haben, dass wir wütend sein können, verzweifelt, hilflos, hoffnungslos. Wir wissen, wir können mit diesen Gefühlen umgehen und können das alles letztlich auch als das Leben mit seinem Fluss feiern.

TV: Das heißt also auch, es ist gar nicht verkehrt, wenn man einmal Angst hat oder einmal wütend oder verzweifelt ist. Das sind alles normale Dinge. Und es ist auch nicht der Sinn von Erleuchtung, das alles hinter sich zu lassen. Oder?

Lea: Ganz im Gegenteil. Der tibetische Buddhismus unterscheidet sich vom Hinduismus im Wesentlichen darin, dass er besagt, es geht nicht nur um eine einsgerichtete Konzentration

Wenn ich mich einsgerichtet konzentriere, dann kann ich diesen Zustand erreichen. Wie das Glas Wasser, wo sich der Schmutz abgesetzt hat. 

Anders ist es, wenn das alles wirbelt und du kannst immer noch die Klarheit darin spüren. Und das ist Erleuchtung, weil man nicht mehr rausfällt, wenn plötzlich das Wasser wieder aufgerührt wird. 

Es ist wichtig sich klar zu machen, wir sind durchdrungen von diesem Feld. Wir sind immer darin. Insofern ist Glückseligkeit kein inside job, also wir müssen sie nicht herstellen, aber wir können alles andere beseitigen, was uns daran hindert sie wahrzunehmen.

TV: Ja, genau, die Erleuchtung ist sowieso vorhanden. Unser Job ist es eigentlich, das andere zu beseitigen.

Lea: Oder das rückgängig zu machen, wenn wir das Gefühl haben die Welt sei gefährlich. 

Sie so wahrzunehmen, wie sie eigentlich gemeint ist. Wir kommen in dieses Leben und haben das Urvertrauen, dass wir eigentlich sowieso immer zuhause sind, wie man im Buddhismus sagt, immer ungeboren. Wir können aus diesem Feld nicht heraus, wenn es allesdurchdringend ist. Wo sollen wir denn hin? Dann dürfen wir dieses Vertrauen wieder entwickeln oder spüren, weil es ja auch schon da ist.

TV: Du beziehst dich jetzt auf das große Bewusstseinsfeld. Aber wir können ja auch aus dieser Dualität nicht raus. Oder?

Lea: Das Besondere ist ja, dass wir in der Erfahrung existieren.

Es gibt in allen Völkern auch Rituale für Trauer, für Verzweiflung. Es gibt in manchen Kulturen Klageweiber, die schreien und heulen. Es gab viele Totenrituale in allen Völkern. 

Die Tatsache, dass wir sie aus unserer Welt so rausdrängen, ist überhaupt nicht gesund, weil man viel besser loslassen kann, wenn man sich erlaubt hat, durch die Trauer zu gehen. Trauer ist auch ein Zyklus mit verschiedenen Stadien. Es ist gut den Gefühlen zu vertrauen, weil sie dazugehören. Es gibt Rituale für Wut, für Kraft, für die Jagd, es gibt Rituale, die chaotisch sind.

Im Buddhismus gibt es auch Übungen, in denen man sagt, ich bin der Buddha und so gehe ich jetzt durch Wut. Ich bin der Buddha und ich gehe jetzt durch Hilflosigkeit. Ich bin der Buddha und ich gehe durch Verzweiflung. Das sind die tantrischen Übungen, die eigentlich genau dasselbe machen. 

Sie wollen dieses Vertrauen wiederherzustellen, dass wir so wie wir sind genau in Ordnung sind

Und je mehr wir es haben, umso mehr merken wir, dass wir Mitgefühl für uns haben. Wir fühlen uns geborgen im Universum und dann strahlen wir das auch aus.

Plötzlich merken wir, wir haben mehr Mitgefühl mit anderen, sogar mit unserer Mutter, die vielleicht wirklich nicht gut zu uns war oder mit unserem Vater, weil wir merken, auch der durfte das nicht erleben. 

Auf diese Art und Weise heilt zutiefst etwas, wenn wir nicht versuchen, mit unserem Verstand gute Menschen zu sein oder schlechte Menschen zu bekämpfen oder das Gute in uns zu fördern und das Schlechte von uns auszurotten, sondern wirklich in dieses Vertrauen kommen. 

Alles in allem ist es ein unglaublich wohlwollendes, freudvolles, lebendiges Universum.

TV: Punkt. ☺

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Das Interview führte Ronald Engert, Gründer und Herausgeber der Zeitschrift Tattva Viveka

Weitere Artikel zum Thema in der Dezember 2023 Ausgabe:

SO 02: Ilan Stephani – Die Nüchternheit der sexuellen Ekstase

TV 96: Saskia Baumgart – Von Märchen, Heiligen Büchern & anderen Narrativen

TV 92: Thomas Hübl – Kollektives Trauma heilen

TV 89: Monika Alleweldt – Die globale Befreiung von Angst und Gewalt

TV 86: Marina Stachowiak – Transgenerationales Erbe

TV 81: Bartosz Werner – Transzendentes Träumen

TV 52: Ronald Engert – Gut, dass es mich gibt

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